Samstag, 18. Februar 2017

Jeckes Treiben


Dass die FAZ nicht unbedingt das Zentralorgan der Arbeitnehmerseite ist, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Aber das Interview, das Sven Astheimer mit dem ehemaligen Opel-Personalmanager Manfred Becker geführt hat, ist sogar innerhalb dieses Krämerseeelenkosmos eine Nummer für sich. Eigentlich geht es bei dem Geplauder um die verheerenden Auswirkungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG), mit dem, folgt man Beckers Ausführungen, quasi der Sozialismus in deutschen Chefetagen Einzug gehalten hat. (Ich frage mich ja immer, wie derartige Katastrophenmeldungen zusammengehen mit den Jubelarien über Beschäftigungs- und Exportrekorde. Vermutlich nach derselben Formel wie die vom Fachkräftemangel mit denen über die Industrie 4.0, die uns allen die Arbeit wegnehmen wird. Aber egal.) Nebenbei geht es aber auch um den Mindestlohn:

"Nach dem AGG hat sie [die Regierung, d.V.] Unternehmen mit dem Mindestlohngesetz verpflichtet, anständige Löhne zu zahlen. Ob Unternehmen damit gezwungen werden, Gehälter oberhalb der individuellen Grenzproduktivität zu zahlen, interessiert die Politiker nicht, weil sie den zu hohen Lohn nicht zu zahlen brauchen. […] Wenn der Staat etwa Mindestlohnkonzilien einsetzt, dann misstraut er der Fähigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, selbst faire Löhne für unterschiedliche Leistungen zu ermitteln."

Vielleicht liegt es daran, dass bald wieder Karneval ist, wenn ich nach jedem Satz ein Tatä-tatä-tatäääh und einen vor lachen sich biegenden Saal vor dem geistigen Ohr hatte. Aber gehen Sie sorgsam mit ihren Lachsalven um, die Büttenrede geht noch weiter. Auf die Frage, ob er größere Lohnunterschiede für hinnehmbar halte, bekommt der Interviewer folgenden Klopper diktiert:

"Jedes Gehalt hat doch seine Historie. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, welche Faktoren für die Lohnfindung entscheidend sind: Qualifikation des Bewerbers, Knappheiten am Markt und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Daraus setzt sich die Höhe des Einstiegsgehalts zusammen, und die wirkt sich bis zur Rente aus. Ich erinnere mich, als in den siebziger Jahren die Informationstechnologie Einzug hielt. Programmierer waren damals knapp. Deshalb konnten Bewerber ihr Wunschgehalt auf einen Zettel schreiben und haben es in der Regel auch bekommen."

Hach ja, die goldenen Siebziger! (Das müssen dieselben Siebziger gewesen sein, in denen Becker selbst nicht bei Opel gearbeitet, sondern an der Uni rumgehangen hat, wie man seinem Lebenslauf auf den Seiten seines derzeitigen Lehrstuhls entnehmen kann.) Becker ist nämlich Professor an der Universität Halle-Wittenberg. Welche Grenzproduktivität hat eigentlich so ein Prof? Was erwirtschaftet der konkret? Und wovon wird der noch gleich bezahlt? Wachsen Hochschullehrerbesoldungen auf Bäumen oder werden die am Ende gar aus Steuermitteln bezahlt? Die ja irgendwo herkommen müssen, nöch? Hat Beckers Gehalt vielleicht die die Historie, dass 1990 gerade Planstellen an ostdeutschen Unis zu kriegen waren? Fragen über Fragen.

Jeckes Treiben herrscht momentan auch in Dresden. Eine Besorgte Bürgerin im Dialog mit dem örtlichen SPD-Vorsitzenden Martin Dulig, aufgezeichnet von der ZEIT. Anlass ist die aus drei hochkant gestellten Bussen bestehende Installation 'Monument' auf dem Neumarkt. Ich liebe es, wenn zeitgenössische Kunst funktioniert. Und wer die Lady für abgefahren hält, hat sich die Kommentare zum Video noch nicht angesehen.



4 Kommentare :

  1. Dresden scheint den Ehrgeiz zu entwickeln, zum Jammer-ZK der Republik werden zu wollen.
    Die professionellen Luftangriff-Betroffenen sollten sich mal den ein oder anderen Fakt klarmachen:

    Der schwere Angriff auf D. wurde lange Zeit überschätzt, heute wird davon ausgegangen, daß er ca. 25 000 Opfer kostete und damit in etwa so schwer war wie der schlimmste Angriff auf Hamburg.
    Im Gegensatz zu Hamburg und vielen anderen Städten gab es auf Dresden kaum weitergehende Luftangriffe, womit sich eine alte Erfahrung bestätigt: Wer noch Luft hat, um kräftig zu jammern, hat relativ wenige echte Probleme.

    Sogar aus Nazi-Sicht ist das Geflenne absurd, ein schwerer Angriff und schon werden die Taschentücher gezückt- wie soll man mit solchen Leuten bis nach Moskau kommen?

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  2. Wat soll ich zu dem Intawuh noch sahren?

    Der Herr Becker möchte sich evtl. als Hans-Werner (Un)Sinns Nachfolger positionieren.

    Der wurde ja auch von unabhängigen Medien immer wieder als Deutschlands fähigster "Wissenschaftler" bezeichnet.

    Interview mit FAZ..., ein erster Schritt?

    @ Art Vanderley
    Ich hoffe wir kommen mit solchen Leuten nirgendwo mehr hin.

    "Wir" sind bereits in Litauen, in Afghanistan, in Mali, im Mittelmeer, in Syrien.

    Auslandseinsätze, Stücker 14 oder 15 - sollten reichen, obwohl ein Angriffsetat von 62 Mrd € pro Jahr, da geht noch was...

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    1. "Deutschlands klügster Professor", so lautete, glaube ich, die Fama (einen empirischen Beweis ist man bis heute schuldig geblieben).
      @Art: Es scheint tatsächlich so etwas wie ein Dresdner Sonderbewusstsein zu geben. Ist hier mal en detail aufgemetert

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  3. @Alles nur Satire

    Klar, da geht noch was, obwohl Litauen und Co. schon so ein bißchen nach Weltherrschaft klingen. Der Nazi aber wendet sich gelangweilt ab, die paar Auslandseinsätze haben doch nichts mit der Vision vom Lebensraum zu tun.

    @Stefan
    Sehr interessanter Link, besonders, daß es schon im Vormärz Hinweise auf die Dresdner Mentalität gab. Offenbar ist diese Haltung nicht erst im 20.Jhd. entstanden. Dresden, die deutscheste aller Städte?

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