Samstag, 26. November 2016

Leistungsträger - im Cockpit und anderswo


Der legendäre Ewald Lienen meinte kürzlich in einem Interview, der Sektor des Profifußballs sei vor allem deshalb so üppig finanziert, die gezahlten Summen für Gehälter, Werbung und Übertragungsrechte so astronomisch, weil er - Panem et Circenses, der alte Klassiker - die Funktion habe, das Volk zu unterhalten, auf dass es nicht auf die Idee komme, an den herrschenden Verhältnissen etwas ändern zu wollen. Anders: Der Zirkus trage maßgeblich dazu bei, dass es noch ein wenig dauert mit der Revolution. Der kluge Mann weiß übrigens, wovon er redet, denn er hat 2012/13 bei AEK Athen gearbeitet. Einsichten wie die erstere jedenfalls hat er etlichen Redakteuren großer überregionaler Tageszeitungen definitiv voraus.

Keine Ahnung, was Wirtschaftsredakteure bei der FAZ so verdienen. Ich denke aber, man liegt nicht ganz falsch, wenn man deren Salär knapp über, sagen wir, dem Tariflohn für Gebäudereiniger verortet. Wenn das so sein sollte, wofür einiges spricht, dann beziehen auch Redakteure das weniger für ihre Schreib- oder Recherchekünste, sondern zuvörderst für ihre Funktion im System. Für ihre Fähigkeit und Bereitschaft, den geneigten Lesern ohne rot zu werden mithilfe noch der abstrusesten Gedankenkonstruktionen die Segnungen und die Alternativlosigkeit jener uns umgebenden armseligen Raffke- und Ausbeuterveranstaltung namens Kapitalismus einzubläuen. Etwa, indem sie sich Elaborate aus der Murmel wringen wie jüngst FAZ-Wirtschaftsredakteur Ulrich Wiese.

Der beklagt anlässlich des Streiks der Lufthansa-Piloten, die würden zu Neid und Schmerz ihrer gering verdienenderen Kolleginnen und Kollegen im selben Hause  - Divide et impera, ein weiterer Klassiker - doch schon so üppig bezahlt wie leitende Angestellte,und jetzt wollen sie jetzt noch mehr. Gerade jetzt, da der Konzern, deren kärglich Brot sie so üppig mampften, schon solche Probleme hätte. Trotz "ihrer Sonderstellung", so Wiese, "lassen sich die Leistungsträger im Cockpit nicht in die Pflicht nehmen, wenn es um das wirtschaftliche Wohl und ein schlüssiges Zukunftskonzept 'ihres' Arbeitgebers geht." Beim Teutates, die Weltordnung versinkt im Chaos!

Das alte Tralala, kommt einem irgendwie bekannt vor: Streiken ist ja gut und schön und, ja, auch irgendwie legal, ein Stück weit. Aber wenn schon unbedingt, dann bitte nur so, dass Die Deutsche WirtschaftTM auf keinen Fall Schaden nimmt und es auch sonst möglichst niemand bemerkt. Außerdem haben auch die Arbeitnehmer (die ja eigentlich Arbeitgeber sind, aber egal) eine Mitverantwortung. So hätten' sie's gern.

Man könnte so einiges einwenden. Zum Beispiel, dass Piloten meiner Meinung nach völlig zu recht sehr gut bezahlt werden. Anders als Zeitungsredakteure und andere Papiervollschmierer, tragen Piloten nämlich, wie Busfahrer und Lokführer, Ärzte und Pfleger übrigens auch, echte Verantwortung. Im Zweifel jeden Tag die für Wohl und Wehe von mehreren hundert Menschen. Insgesamt habe ich mit hohen Pilotengehältern weit weniger Probleme als mit absurden, dem Leistungsprinzip Hohn sprechenden Spitzengehältern, Boni und Abfindungen in diversen Chefetagen. Dort beruft man sich gern darauf, eben gute Verträge ausgehandelt zu haben. Nichts anderes haben die Lufthansa-Piloten in der Vergangenheit auch getan. Wo also soll das Problem sein? Was ist daran eine Sonderstellung?

"Piloten / ist nichts verboten" (Walter Reisch)

Überhaupt müsste einem im Geiste stramm neoliberal gebürsteten Redaktör doch bewusst sein, dass der Pilotenberuf, wahrscheinlich weit mehr als viele andere, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt. Die Nachfrage ist hoch, weil der Luftverkehr stetig zunimmt, während das Angebot an entsprechenden Fachkräften nicht allzu groß ist, weil die Ausbildung recht anspruchsvoll ist und hohe Hürden zu nehmen hat, wer den Beruf ergreifen will. Jeder Azubi, jeder Oberstufenschüler lernt die simple Gleichung: niedriges Angebot + hohe Nachfrage = hoher Preis.

Mooooooment! So zu denken, ist natürlich hochgradig naiv. Jeder FAZ-Abonnent weiß, dass die Nummer von Angebot und Nachfrage immer nur so lange gilt, solange sie denen am oberen Ende der Nahrungskette nützt. So wie auch staatliche Eingriffe in das heilige freie Spiel des Marktes nur so lange tabu sind, solange das Kapital keine Einbußen verzeichnen muss deswegen. Wenn doch, ist jede Rechtsdehnung erlaubt. Wer glaubt, das Gesetz von Angebot und Nachfrage gelte mir nichts, dir nichts einfach so für alle, der stellt vermutlich auch Milchmädchenrechnungen an wie die, was für Gehaltserhöhungen sich finanzieren ließen, wenn man Vorstandsgehälter auf 500.000 Euronen per Annum deckeln würde. Wo kämen wir denn da hin?



3 Kommentare :

  1. Tja, wo kämen wir denn dahin?

    Vermutlich direkt in die Anarchie, in den Stalinismus, nach Nordkorea, wenigstens.

    Ich frage mich ja auch immer wieder, welche und wie viel soziopathische Defekte die Grundvoraussetzung für neoliberale Lohnschreiber sind. Oder für Politiker, Vorstände, Investmentbanker, Beraterpack. Es können nicht wenige Defekte sein.

    Das Streben nach mehr Geld ist doch durchaus kapitalistisch und dürfte dem FAZ-Schreiberling eigentlich nicht missfallen. Oh, sicher, jetzt weiß ich es wieder. Lohnabhängige sind ja von der Geldschöpfung durch kapitalistische Haltung ausgeschlossen.

    Warum die Piloten der Lufthansa streiken, weiß ich auch nicht. Geht es vielleicht nicht nur um mehr Geld?

    Steht dieser Berufsstand auch schon zur Disposition?

    Es gibt Drohnen, seit geraumer Zeit. Wie viele davon beim Start, bei der Landung oder während des normalen Fluges durch unsachgemäße Handhabung des bedienenden Personals oder durch Konstruktionsfehler abgestürzt sind, ist mir nicht bekannt. Das dürften die wenigsten Menschen wissen, wegen Geheim.

    Angenommen, nur ein Gedankenspiel, die Vorstände der Luftverkehrsgesellschaften müssen wieder attraktiver für die „Anleger“ werden, also für Blackrock, zum Beispiel.

    Mit dem Cargo-Luftverkehr könnte man anfangen. Es ist der größte Teil des zivilen Luftfahrtverkehrs. Weg mit Pilot/Co-Pilot/Bord-Ingenieur-Gespann.

    Testphase I: Nur noch ein Pilot, der nur noch eingreifende Funktion hat. Das Ding wird wie eine Drohne gesteuert. Der „Pilot“ soll und muss nur dann eingreifen, wenn die Bodenleitstelle versagt. Falls er noch eingreifen kann....

    Phase II: Auswertung der Phase I, Erstellung von „Gutachten“ en masse, denn jetzt müssen die Luschen aus beamteten Kontrollinstanzen und Ministerien weltweit „überzeugt“ werden. Gekauft werden!

    Phase III: Typen wie Dobrindt sind in Hinterzimmergesprächen bereits überzeugt worden. Jetzt muss er/seine internationalen Kollegen das Vorhaben in den jeweiligen politischen Zirkusarenen per „Gesetz“ legitimieren.

    In dieser Phase wird gelogen, betrogen, geschmiert, Gutachterorgien werden inszeniert. Wir kennen das, es ist immer das gleiche Spiel von medialen und politischen Nebelkerzen und Theaterdonners.

    Irgendwann kommt so etwas vielleicht tatsächlich, vielleicht ist es in Planung.

    Wir haben tausende Halbleiterfabriken, wir haben Hunderttausende, Millionen Ingenieure, Entwickler, Software-Spezialisten, die sich keinen Deut um die Auswirkungen ihres Tuns auf die Gesellschaft und die Menschen scheren. Sie sind meist einseitig begabt.
    Deren Begabung wird wiederum von wenigen Menschen ausgenutzt.

    Die stehen deshalb an der Spitze der Vermögenden, weil sie u.a. die Begabung haben, zu erkennen, mit welchen Mitteln, durch welche „Innovationen“ sie noch reicher werden. Die daran forschen lassen können, was ihnen nutzt. Die weiterhin die Mittel haben, um die Ergebnisse in Geld und Besitz zu verwandeln.

    Vielleicht geht es auch darum? Nicht nur bei Piloten. Ich weiß es nicht....

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    1. Technisch ist das natürlich jetzt schon machbar. Ich denke aber, mit der Automatisierung werden sie eher bei anderen Dingen beginnen. Kassen zum Beispiel bieten riesiges Einsparpotenzial. Woanders ist man da schin weiter. Ich war im Sommer in London, da wurde ich in einem Zeitschriftenladen am Bahnhof blöd angeguckt, als ich frug, wo ich denn meine 2,50 bar bezahlen kann - fast nur noch SB-Kassen mit Kartenzahlung.

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    2. Der Spiegel ist sich natürlich wieder nicht zu schade, sich als Arbeitgeberplattform missbrauchen zu lassen:
      http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/lufthansa-die-streiks-ruinieren-das-grundversprechen-von-zuverlaessigkeit-a-1123482.html

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